RE: Das Leben ist ein Traum
30.11.2013, 01:36
Wenn das so ist, dann würde ich mich fragen, ob ich auch nur geträumt bin? Oder vllcht bin ich ein Balg?
Ich traf ihn, als ich einmal durch den Garten spazieren ging. Er stand da, geistesabwesend, voll in seine Gedanken versunken, still und einsam. Ich grüßte ihn und fragte nach seinen Namen. „Balg“, sagte er. Er hatte eine tiefe angenehme Stimme, die klang als würde sie aus einem hohlen Raum kommen. Er wollte auch meinen Namen wissen ...Ich wusste aber nicht, was ich ihm antworten soll. Er sah nicht besonders schön aus: unter dem Hut sahen mich runde Knopfaugen an, dazwischen hängte eine Kartoffelnase, der Mund bildete, meist entspannt, ein O.
Nach längerer Betrachtung verstand ich, warum sich der Balg kaum bewegte: er war an dem T-förmigen Balken mit einem Eisendraht festgebunden.
Er könnte ein Künstler sein, dachte ich. Er trug einen horizontal gestreiften gelbblauen Pullover, der Wind umwehte seinen grünen Schal. Die Beine waren jedoch in einen Schlafsack gesteckt. „Ich habe Rheuma“, beantwortete Balg meinen fragenden Blick. Obwohl er nicht schön war, wurde er bestimmt von vielen Frauen geliebt. Seine innere Konzentration, seine tiefe Einsamkeit und Stille wirkten unglaublich fein und faszinierend. Es war Einer, der eine hundertprozentige Entscheidung in seinem Leben getroffen hat und das war der Grund, warum ich bei ihm stehengeblieben bin. Mich interessierte sein Schicksal sehr und Balg nahm sich Zeit, mir seine Geschichte zu erzählen:
Ich lebte vor vielen Jahren in einem Haus am Fluss. Ich hatte eine Arbeit, eine schöne Frau und ein Kind. Mein Leben floss wie Wasser im Fluss dahin - ruhig und unaufhaltsam. Tag für Tag ging ich meiner beruflichen Tätigkeit nach, kehrte dann nach Hause, verbrachte viel Zeit mit meiner Familie, liebkoste meine Frau. Doch einmal, als ich vom Büro am Ufer entlang ging, traf ich einen Angler. Das war der merkwürdigste Mensch, dem ich je begegnet bin. Sein Körper, sein Gesicht, seine Haare, alles war wie aus einem Stück Holz geschnitten. Statt einer Angel hielt er eine silberne Schnurr in der Hand. Ab und zu zog er einen Fisch raus, schaute ihn an und warf ihn wieder in den Fluss. Ich fragte ihn nach seiner Schnur und warum er die Fische wieder ins Wasser warf. Daraufhin murmelte der Angler, dass ich es nie verstehen würde. Ich zuckte mit den Schultern und ging nach Hause. Ich erzählte meiner Frau von dem merkwürdigen Angler, doch sie wollte mir nicht glauben und als wir rausgingen, war er schon fort. Am nächsten Tag traf ich ihn wieder. Dieses Mal sah er aus, als ob er aus Stein gemeißelt war-keine getrennten Linien in der Kleidung, in den Bewegungen, in der Sprache. Er angelte diesmal mit einer goldenen Schnur und warf die Fische ebenso zurück ins Wasser. Ich grüßte ihn und bat ihn erneut nach einer Erklärung. Er antwortete mir mit einer singenden, melodischen Stimme und erzählte mir über den Inhalt, der die Form ist; über sich selbst auslösende Negationen, über die unendliche Einzahl und darüber, dass sich nichtkonsistente Konstellationen immer wiederholen.
Freilich verstand ich nichts davon, aber es machte auf mich einen unauslöschenden Eindruck, wie ein Bild, auf dem nichts fehlt. Ich ging nach Hause und musste den ganzen Abend darüber nachdenken.
Am 3. Tag als ich von Arbeit nach Hause ging, war der Angler nirgends zu sehen. Die Nachmittagssonne schien stark und im Fluss spiegelten sich tausende von Sonnenstrahlen. Sie blendeten meine Augen und deswegen konnte ich nicht sofort erkennen, dass der Angler auf dem Wasser ging. Ich war total verblüfft und fragte ihn, wer er sei, dass er soetwas machen kann. Er sagte nur, sein Name sei Splitter. Ich lief schnell nach Hause, um meiner Frau von diesem Wunder zu erzählen. Doch dort, wo mein Haus stand wuchs bloß Unkraut. Ich traute meinen Augen nicht! Kein Haus war weit und breit zu sehen und meine Familie war spurlos verschwunden. Ich vermutete, dass der Angler Splitter etwas damit zu tun hatte und ging deshalb zu ihm zurück. Er saß am Ufer und schaute ins Wasser. „Wo ist meine Familie, wo ist mein Haus“, rief ich. „Bist du dir sicher, dass du jemals eine Familie hattest?“ Ich schaute Splitter verdutzt in die Augen. Ich versuchte mich zu erinnern, doch ich konnte nicht. Ich wusste theoretisch, dass ich Haus, eine Familie und Arbeit hatte ... im Prinzip, glaubte ich.
Die Erinnerungen verblassten, die Gedanken sprangen, wie Fische im Wasser ... ich wusste langsam nicht mehr, wer ich war und ich bekam Panik. Alles verschwamm, wurde zu Wasser, ich ertrank, schrie nach Hilfe und ging zugrunde. Als ich fast bewusstlos war, sah ich auf der Wasseroberfläche 2 Füße. Splitter griff in die Tiefe und zog mich heraus. Ich schlug wild mit Armen und Beinen und schnappte nach Luft wie ein Fisch. Splitter betrachtete mich. „Ich muss dich wieder ins Wasser werfen, sagte er schließlich, tut mir leid“. „Aber warum, protestierte ich, was habe ich getan?“ Er schaute mir tief in die Augen. „Du siehst den Splitter, merkst aber deinen eigenen Balken nicht, Balg!“
In diesem Augenblick verschwand alles und ich spürte das ich an dem T-förmigen Balken festgebunden bin. Ich habe verstanden, was Splitter mir erzählt hat und jetzt sehen sie, O Herr einen mit Stroh gefüllten Sack.
Die Sonne ging unter. Die Vögel flogen in den O-förmigen Mund rein und raus. Sie haben sich dort ein Nest gebaut und haben offensichtlich keine Angst vor der Vogelscheuche.
Alles begann mit einem Tod