(06.06.2013, 23:37)spell bound schrieb: also ricky, wenn man zynisch sein will, kann man deine aussagen über die notwendigen entwicklungsstufen doch auch ganz dreist als legitimation des kolonialismus auslegen. wir haben denen die nächste enwicklungsstufe gebracht! große tat, menschlichkeit, demokratie.
Seh ich genau umgekehrt, die Annahme, dass die kulturelle Entwicklung nicht einfach ein paar Stufen überspringen kann, nimmt eigentlich jedem Versuch, anderen Gesellschaften eine Organisationsform von aussen aufzuzwingen, jede Rechtfertigung.
Zitat:okok du sagst jeder muss die entwicklung selber erreichen.
Das ist ein zweiter Punkt. Nur dadurch, dass man beide weglässt, kann man eine Rechtfertigung für Imperialismus daraus ableiten.
Wobei beide Punkte schon zusammenhängen, es ist halt eine Entwicklung, die jeder selbst durchlaufen muss und wobei man nicht einfach bestimmte Entwicklungsstufen überspringen kann, da eben jede Stufe die vorigen benötigt.
Wie z.B. bei dem Beispiel der sozialistischen Gesellschaft, der zwingend eine Phase der extremenen Entfaltung der Produktivkräfte (deren konkrete Ausprägung bei uns eben der Kapitalismus war) vorhergehen muss. Man kann diese Phase nicht einfach überspringen, weil dann die Voraussetzungen für eine sozialistische Gesellschaft einfach nicht gegeben sind.
Zitat:dennoch ist es irgendwie "rassistisch" oder ka wie ich es ausdrücken soll (diese unterentwickelten völker! (sind auch höchstens in der lage, von unserem kant abzugucken, und keinen eigenen kant hervorzubringen. klar, kant war ja auch europäer, wie sollen sie einen europäer hervor..)).
Wenn man das für rassistisch hält, verwechselt man Entwicklungshierarchien mit Wertehierarchien. Nimm einen Menschen, der durchläuft im Laufe seines Lebens verschiedene Entwicklungsstufen. Man kann also feststellen, dass ein erwachsener Mensch in diesem Entwicklungsprozess weiter ist als ein Kind. Daraus kann man aber nicht schliessen, dass darum ein erwachsener Mensch "mehr wert" oder "besser" sei als ein Kind.
Es erschwert aber meiner Meinung nach die Analyse, wenn man bestimmte Dinge einfach nicht akzeptiert, wie zum Beispiel die Existenz von Entwicklung und damit auch von Entwicklungshierarchien, weil man aus Ablehnung von Wertehierarchien die Existenz jeglicher Art von Hierarchie ablehnt und dann auch abstreiten muss, dass es sowas wie Entwicklung überhaupt gibt.
Zitat:doch, es ist einfach immer noch der alte verschrumpelte hegel! der weltgeist zieht durch die luft und veranlasst die gesellschaften zu stetem fortschritt, natürlich sind wir ganz vorn. die primitiven eingeborenen verstehen am wenigsten von menschenrechten. oder? ich mein, die haben ja nichtmal manieren.
Eventuell ein Missverständnis? Ich betrachte weder die Menschenrechte, noch die Demokratie, noch die Nationalstaaten oder Manieren oder sonstwas als etwas, dass "wir" erreicht haben, die anderen aber noch erreichen müssen.
All diese Dinge sind spezielle europäische/westliche Ausprägungen, und darum gings mir ja eigentlich: dass ich den Nationalstaat an sich nicht als etwas gutes oder schlechtes ansehen, sondern als eine (nicht DIE) Organisationsform, die einer bestimmten Entwicklungsstufe durchaus angemessen ist und Probleme voriger Stufen löst, jedoch neue Probleme hervorbringt. Dass das Problem weder Nationalstaat noch Kapitalismus an sich sind, sondern die Tatsache, dass die weitere Entwicklung behindert wird. Jetzt auf uns im Westen bezogen. Ich denke, dass wir an einen Punkt kommen, wo Nationalstaaten u.a. der Entwicklung (grob: des Bewusstseins) bei uns eben nicht mehr angemessen sind.
In anderen Kulturen ist die Entwicklung auch gestört, was dann aber oft damit zu tun hat, dass sie von aussen behindert wird. Zum Beispiel durch den Imperialismus, der sich heute tarnt, indem er behauptet, anderen Kulturen unsere "Errungenschaften" aufzwingen zu müssen, weil diese halt so rückständig seien. Gutes Beispiel dafür ist die Gleichberechtigung der Frauen, die oft als Argument dient, Soldaten und Panzer schicken zu müssen.
DAS ist Rassismus und Chauvinismus, zu behaupten, die würden das allein nicht hinbekommen, weil diese Kulturen einfach (z.B. aufgrund ihrer Religion) so eine Gleichberechtigung nicht hinbekommen würden, und dabei völlig zu unterschlagen, dass WIR selbst noch vor kurzem in dieser Frage gar nicht viel besser dastanden als z.B. islamische Länder heute (und diese Entwicklung auch bei uns noch nicht wirklich weit fortgeschritten ist, in den Köpfen der Menschen eine Selbstvertständlichkeit).
Zitat:man kann es schon vergleichen, finde ich, mit deinen aussagen über die lügen. bauernfängerei. in gewisser weise wird alles nur subtiler, schwerer erkennbar. wird es deshalb freier? nein, es wird nur mehr von freiheit geschwafelt. früher wussten die leute noch eher dass sie nicht frei waren. aber kann auch sein, ja, dass sie es früher doch nicht wussten. weil das damals für sie auch subtil war, was uns heute offensichtlich erscheint. ist das dann ein fortschritt, wenigstens das? vielleicht. aber mit diesem fortschritt schreitet die sublimierung voran. und sie ist das perverseste, das es gibt. wenn man mal nicht, wie freud, perversion über normalität definiert, denn das ist pervers.
Habe ich gesagt, dass wir hier im Westen die Supermänner sind? Voll geil entwickelt, alles ohne Probleme? Dass wir hier die Freiheit haben, und die Demokratie, und Menschenrechte? Nein, ich habe sogar eine massive Entwicklungsstörung bei uns festgestellt, die ich für die Ursache vieler aktueller Probleme halte. Unser Entwicklung ist blockiert.
Die Widersprüche beim Geschafel von Freiheit wie du sagst sind Symptome dafür. Die totale Verlogenheit, die nötig ist, damit die Machthaber die Bevölkerung noch kontrollieren können.
Natürlich kann man z.B. die Menschenrechts-Propaganda, mit der unsere Regierungen uns dazu bringen, in den Krieg zu ziehen, einfach nur als ein Zeichen für die Verkommenheit betrachten. Worauf ich aber hinauswill ist, das mal anders zu sehen: Woran liegt es denn, dass unsere Regierungen uns was von unserer Mission, dem Rest der Welt Menschenrecht, Gleichberechtigung und Demokratie zu bringen, vorlügen müssen, um Kriegslust zu wecken, während es vor sagen wir 150 Jahren (ich würde sogar sagen, soweit muss man nicht mal zurückgehen) noch völlig ausreichte, die Gegenseite zum minderwertigen, nicht-menschlichen, gottlosen Feind zu deklarieren, der vernichtet werden darf oder sogar muss, damit wir die uns zustehenden Bodenschätze an uns reissen können? Warum können unsere Herrscher der Bevölkerung sowas heute nicht mehr ganz offen sagen, warum müssen sie uns immer dreister anlügen über die Motive für Auslandseinsätze und vor allem, diese Motive immer mehr beschönigen, Angriffskrieg und Ausplünderung als Hilfe umdeuten? Warum die grosse Aufregung, als dem Köhler mal in der Öffentlichkeit die Wahrheit rausgerutscht ist?
Noch vor kurzer Zeit hätte und hat niemand daran Anstoss genommen, dass wir unser Militär benutzen, um unserer Rohstoffquellen und -transportwege zu sichern. Das war selbstverständlich. Die, die z.B. in Afrika oder Lateinamerika abgeschlachtet wurden, waren nämlich einfach keine Menschen. Und das war nichts, woran irgendjemand Anstoss genommen hat, weil diese Leute im Bewusstsein der Leute einfach keine Menschen waren. Aber an der Stelle findet eben eine Entwicklung statt, und heute setzt sich immer mehr ein Bewusstsein dafür durch, dass alle Menschen genauso sind wie wir und man darum die in Afrika oder so nicht einfach umbringen kann. Darum müssen die Regierungen lügen, damit die Menschen die Raubzüge weiter unterstützen. Sie unterstützen sie, weil sie glauben, wir würden den armen Menschen dort helfen. Kein Raubzug lässt sich heute noch rechtfertigen, ohne darauf hinzuweisen, dass es "uns" doch darum geht, den Menschen dort zu helfen.