RE: Die Pandemie und die Psychosomatik
25.06.2020, 12:20
Ich habe heute so eine interessante Sichtweise gehört, die ich gerne mitteilen möchte. Ich schaute ein Video, in dem eine Frau die sich mit Ahnenarbeit und Traumata beschäftigt, sagte, dass sie in Frankreich lebt und dort wo sie lebt im Elsas, haben in der Vergangenheit so viele Kämpfe und Kriege stattgefunden. Dort sind so viele Menschen im Krieg gefallen.
Sie sieht in Corona die Reinzinierung dessen, damit wir Menschen die Verluste unserer Ahnen, die zu Kriegszeiten gefallen sind, noch mal bewusst verarbeiten können. Sie sagte, dass teilweise Meldungen von 1000 Toten an einem Tag, die gleiche emotionale Schocksituation für die Angehörigen, für eine ganze Region auslöst wie das im Krieg der Fall war. Denn der Tod kam so schnell und die Menschen konnten sich nich nicht von den Verstorbenen verabschieden. Wenn Tote nicht verabschieden werden können, kann Trauer nicht verarbeitet werden. Im Krieg musste man oft weiter machen, um zu überleben. Es gab keine zeit für Trauer. Diese Aussage hat mich sehr berührt, weil sie so total resoniert hat und ich an der Stelle durch meine Berührbarkeit scheinbar sofort mit der Transformation des Schmerzes beginne. Ich habe voll die Gänsehaut gerade.
Vor einiger Zeit habe ich mich mit transgenerationalen Traumata auseinandergesetzt und auch immer wieder erlebt, wie ich zb Traumata meiner Eltern aus Kriegs- und Nachkriegszeiten in mir austrage, mit denen ich im Grunde nichts zu tun habe, wenn ich nur auf mein individuelles Leben schaue und mich als abgetrenntes Wesen sehe. Ich kann viele Übertragungen durch Lernenerfahrungen einsehen, aber manche Themen, die sehe ich da nicht so eindeutig, weil es manchmal einfach zu komplex ist, um das mit analytischem Denken ganz zu erfassen. Man kann es erfassen, aber oft erst, wenn man es bereits entdeckt hat.
Zb ist mein Vater der 1942 geboren wurde, 1945/46 von Ostpreußen nach Norddeutschland geflohen. Ich trug mein ganzes Leben das Thema Heimatlosigkeit und Verlust von sozialem Umfeld mit mir herum, obwohl ihm das geschehen ist. Er war nie in der Lage sein Trauma aufzuarbeiten. Er hat dann auf der Flucht auch noch seine Mutter verloren, fand sie aber ein halbes Jahr später wieder.
Ich bin manchmal geschockt, wenn ich neue Einsichten in mein Ahnenfeld erblicke und sehe, dass sich das alles immer wieder reinziniert, bis einer kommt, um es bewusst anzuschauen und durch Liebe und Mitgefühl zu erlösen. In meiner Familie bin das ich, weil alle Anderen bislang weggeschaut haben. Sie konnten es nicht verarbeiten, ihnen fehlten die Ressourcen dazu. Ihnen fehlte Wissen. Was mir erst ersichtlich machte, warum ich so gierig auf Wissen war. Das sind immer sehr erlösende Schocks, denn indem Moment der Einsicht passiert immer Heilung sowie Erlösung von erneuter Reinszenierung. Also es lohnt sich, sich das anzuschauen, was im Verborgenen liegt. Man findet in all der Dunkelheit die da sein kann, immer einen goldenen Schatz.
Und ich glaube wir alle, tragen so einen langen Schatten unserer Ahnen mit uns herum. Es kann gar nicht anders sein, bei dem, was in unserem Land in der Vergangenheit passiert ist. Wer bitte hat denn keine Eltern ,Großeltern oder Urgroßeltern, die traumatische Erfahrungen im Ersten oder Zweiten Weltkrieg, erlebt haben? Wer unserer Vorfahren hat diese Erlebnisse wirklich verarbeitet? Die wenigsten denke ich. Wir alle sind doch von dem Thema betroffen. Wir alle tragen das in uns, ob bewusst oder unbewusst. Sowohl den Schmerz der Opfer, als auch die Gewalt der Täter.
Heute leben wir in einer Zeit, in der das Bewusstsein der meisten Menschen einen Weg finden kann, mit diesen Kriegstrümmern unserer Vorfahren aufzuräumen, weil wir sehr viel Wissen und emotionale Unterstützung, durch die Psychologie und den Austausch haben, der uns heutzutage weltweit zur Verfügung steht. Wir haben Ressourcen um die Heilung in Angriff zu nehmen.
Wir Leben in einem sehr freiheitlichen und sozialen Land, welches uns viele Möglichkeiten einräumt, uns weiter zu entwickeln. Und an alle die mir jetzt widersprechen möchten, möchte ich sagen, was wenn der Weg so wir wir bisher gelebt haben, als Kollektiv nicht mehr zielführen ist, und die momentanen Einschränkungen uns auf einen neuen Weg führen? Manchmal kann man das Licht am Ende des Tunnels noch nicht sehen, obwohl es schon da ist. Manchmal muss man weiter denken, um dieses Licht zu sehen. Wir haben überhaupt immer nur dann Konflikte mit dem Leben, wenn wir nicht weit genug denken.
Unsere Vorfahren konnten das emotionale Trauma oft nicht erlösen. Ihnen fehlten die Ressourcen. Sie haben das Land wieder aufgebaut. Das war ihr Teil. Unsere Generation hat sich eine Quelle aus Stabilität aufbauen können, die wir nun dafür verwenden können, alte Wunden zu heilen. Traumata treten immer dann ans Licht, wenn sie verarbeitet werden können. DH. es passiert nur dann, wenn auch genug Kraft da ist, das Trauma aufzuarbeiten, oder zumindest einen Teil, dessen. Das ist in einem individuellen Menschen so, wie auch im Kollektiven Bewusstsein. Immer dann wenn man genug Kraft (Stärke, Wissen, Vertrauen, Liebe) gesammelt hat, tritt ein Trauma Aspekt ins Leben und will erlöst werden.
Wer sich für transgenarationale Traumata interessiert, dem kann ich die Bücher von Sabine Bode sehr empfehlen. Besonders die Bücher Kriegskinder und Kriegsenkel hatten mich sehr angesprochen, da ich dadurch erst begreifen konnten, warum meine Eltern sich durch ihre Kriegserlebnisse nicht normal entwickeln konnten und dieses Trauma unbewusst an mich weiter gegeben hatten. Deshalb hatte ich dann ein massives Entwicklungstrauma, das beider Eltern.
Ich glaube es reicht einfach nicht, das Thema Corona rein wissenschaftlich anzuschauen, über Viren und sozial Distanzing zu reden, denn das was wir durch die Situation über uns selbst erfahren können, ist so viel größer als was wir im Allgemeinen in unserem Medien Alltag an Auseinandersetzung erfahren. Das Thema ist aus meiner Sicht viel tiefer. Sehr viel Tiefer. Wir müssen aber da hinschauen, um das zu erkennen. Alles was wir selbst bereit sind anzuschauen, werden wir nicht mehr unbewusst an unsere Kinder und Kindeskinder weiter geben.
Ich glaube, dass die Corona Krise eine weltweite und massenhafte Konfrontation mit unserem kollektiven Trauma darstellt, das zur Zeit offen liegt. Und ja, manche Menschen drehen da gerade voll durch. Sie machen das, weil ihr Trauma getriggert ist. Ihr Trauma springt an, zb durch „bleibt zu Hause“, durch „Maulkörbe“, durch „Freiheitsentzug“ usw. Aber diese Themen, die haben nichts mit der jetzigen Situation zu tun. Das Menschen so auf das Thema anspringen, liegt daran, dass sie mit diesen Themen ein altes zurückliegendes Trauma haben. Das muss man aber erstmal wissen. Und dann sind die Menschen, die gerade durchdrehen auch keine Idioten, sondern sie sind traumatisiert und ihr Nervensystem ist in einem Alarmzustand. Viele Menschen wissen das aber nicht. Das Trauma braucht manchmal eine Begleitung, damit es integriert werden kann. Dazu bracht man Wissen und Liebe.
Leider fehlt diese Begleitung oftmals noch. Wir sollten Psychologie an unseren Schulen unterrichten. Aber das würde das ganze System aushebeln, denn das System lebt zum Teil davon, dass es Menschen unterdrücken kann. Man kann das nur mit Menschen machen, die unwissend sind, und sich nicht zu lieben gelernt haben. Vielleicht sind wir noch nicht ganz an dem Punkt. Zumindest können diejenigen die bereits verstehen etwas tun.
Wir haben den Krieg ja durch große Leistungsbereitschaft und einen Aufbau einer Wohlstandsgesellschaft überwunden. Mein Vater (um noch mal ein Beispiel zu bringen) ist Maurer geworden. Er sagte mal, er hat nach dem Krieg so viele Trümmer gesehen und wollte helfen, das Land wieder aufzubauen. Das war auch ganz wichtig, um uns dieses stabile Umwelt aufzubauen. Heute mangelt es uns nicht mehr an materiellem Wohlstand. Die vorigen Generationen haben uns den Wohlstand gebracht. Unsere Aufgabe ist es die Lebensqualität zurück in das Leben zu bringen.
Zur Zeit zerbricht die Wirtschaft und das Leistungsdenken der Menschen immer mehr weg, weil wir jetzt genug davon haben und nun andere Maßnahmen brauchen, um die Vergangenheit weiter zu heilen und uns weiter zu entwickeln. Und auch aus biologischer Sicht, ist die Hinwendung nach Innen um den Menschen weiter zu entwickeln, ein natürlicher Prozess. Denn über die Hinwendung nach Innen findet er optimalere Lebensbedingungen, weil er dadurch zunehmend lernt, im Frieden und in Achtsamkeit mit seiner Umwelt zu leben. Ob Heilen oder Entwickeln, dass ist eine Frage der Perspektive. Deshalb ist das was Corona mit uns allen macht, die Hinwendung nach Innen für unser kollektives Bewusstsein, absolut folgerichtig und logisch, in jeglicher Hinsicht, ob psychologisch oder biologisch. Wir sind an einem Punkt wo weniger mehr ist, wo Innenschau mehr Qualität hervorbringt, als Expansion nach Außen.
Ich finde, wenn man diesen Prozess versteht, dann kann man viel besser damit umgehen, und mit den Fluss des Lebens schwimmen, als wenn man versucht, den Lauf des Lebens gewaltsam aufzuhalten und abzuwenden. Das was hier geschieht ist etwas gutes, auch wenn es schmerzt. Auch wenn erst mal viele Schatten hochkommen. Wer sich mit Schattenarbeit beschäftigt hat, der erkennt das uns gerade unser kollektiver Schatten um die Ohren fliegt. Man denkt nur man an diese Fleischbetriebe. Auf einmal entsteht ein Bewusstsein für das Thema. Immer dann wenn ein Trauma offen liegt, birgt dieses Chancen, das Trauma liebevoll zu versorgen und Heilung zu erlangen.
Corona ist trotz alldem Schrecken, auch eine große Chance und für viele Menschen greifbar. Manche Menschen sagen, Corona hat die Welt entzweit. Ich empfinde das anders. Ich habe noch nie so eine starkes kollektives Wir Gefühl wahrgenommen, das uns aus unserem Egozentrismus herausholt und uns begreiflich macht, wir Erdenbewohner sitzen alle im gleiche Boot. Das Wissen über diesen kollektiven Prozess, macht die Schrecken nicht ungeschehen. Wo Schmerz ist, ist Schmerz. Aber wir können diesen evtl. bewusst verarbeiten und somit wieder integrieren, was vorher unbewusst und abgespalten war.