RE: Erinnerung an unsere Träume
22.04.2017, 11:28
1) der Traumbericht, der nicht aufgeschrieben, sondern nur erinnert wurde, ist auch schon verzerrt.
2) jedes weitere dran denken verzerrt weiter.
Unter dieser Annahme könnte es so erscheinen, als ob Authentizität unmöglich sei - doch ich würde hier vorschlagen, eine Unterscheidung zu machen zwischen
authentisch und
wie es tatsächlich exakt in dem Moment war. Letzteres ist bereits im Aufwachmoment unwiederbringlich verloren. Ersteres jedoch beschränkt sich auf die wesentlichen Details, das Traumgefühl, und vielleicht sowas wie die
Dringlichkeit des Traums. Denn ich gehe davon aus, dass ein als dringlich erlebter Traum auch in Bezug auf das Wachleben gesetzt werden will - das heißt, dass eine gewisse Verzerrung sogar im Sinne des Verständnisses gut ist. Der Traum wird projiziert auf die gesamte Lebenswelt des Träumers, abgeglichen mit Erfahrungen, anderen Träumen, Denkweisen, usw.
Wenn dieser Abgleichprozess unbewusst geschieht, geht vielleicht eine Menge verloren. Wenn eins Glück hat, bleibt genügend übrig, um später, wenn eins in der Lage ist, sich noch einmal in die traumlogische Ebene hineinzudenken, das Wesentliche des Traumes wiederzufinden.
Ich hab beim Analysieren meines eigenen TTB-Schreibens festgestellt, dass ich in vielen Fällen noch weiß, warum ich etwas anders aufgeschrieben habe, als es im Traum direkt war. Und die Unterschiede können u.U. genauso interessant zu deuten sein wie der Traum selbst - es bietet eine Möglichkeit, das eigene Denken zu analysieren. Und nichts anderes ist schließlich auch Traumanalyse letztlich, nur eben auf einer anderen Ebene des Erlebens.
Authentizität in einem Traumbericht - oder einem Traumgedicht oder einem Traumlied oder einem Traumtanz - ist für mich dann gegeben, wenn dieser oder dieses dazu beiträgt, eine möglichst direkte Verbindung zur Traumlogikebene zu legen; wenn es durch das Lesen (o.ä.) möglich wird, die wesentlichen Teile
wiederzuerleben.
(kurzer Meta-Einwurf: Aus irgendeinem Grund ist meine Sprache heute und jetzt grade äußerst altklug und direkt. Das wird vermutlich einige abschrecken... note to self: selben Gedanken nochmal irgendwo weniger abgehoben formulieren.)
Als Kind hab ich Träume nicht aufgeschrieben, sondern eher aufge-zeichnet. Nicht, weil ich nicht schreiben konnte (konnte ich damals schon) sondern weil das Schreiben zu lange gedauert hätte. Ich erinnere mich, dass ich eines morgens einen richtig tollen langen Traum hatte, und damals zur Schreibmaschine (!) gelaufen bin, um ihn aufzuschreiben. Bis ich dort war, hatten mich aber all die Erwachsenen und Geschwister um mich rum schon so weit abgelenkt, dass ich genau noch eine Zeile tippen konnte. War extrem frustrierend.
Manche Träume waren mir wichtig genug, dass ich sie jedesmal, wenn ich eine kleine "Traum-Sammlung" gemalt habe, sie wieder dazugezeichnet habe. Der Bericht bestand dann aus einem Titel des Traums (wie er auf einem Buchcover stehen könnte) und einem Bild, das nichtmal besonders aussagekräftig sein musste. (Ich kann heute immer noch nicht besonders und konnte damals auch nicht besonders gut zeichnen)
Andere Träume hab ich später, teilw. Jahre später, in Geschichten eingebaut. Und dabei die Handlung komplett verändert, mehrmals. Kann ich mich da an den ursprünglichen Traum erinnern? Nein, aber das Gefühl einer authentischen Essenz ist immer noch geblieben. Genug jedenfalls, dass ich auch als 20-jähriger nochmal
ne komplett neue Handlung wieder auf der Basis von so einem alten Traum schreiben konnte, und dabei das Gefühl hatte, das Ergebnis sei authentischer als das, was ich als 8-jähriger geschrieben hatte.
Erinnerung funktioniert so wohl nicht - aber die ist für mich da eben weniger entscheidend.