Klartraumforum

Normale Version: Schamanengeschichte
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Angeregt durch Don Rinatos' Geistergesang in Radio O möchte ich euch eine Schamanengeschichte erzählen, die ich im Buch "Mythologien der Völker" von Joseph Campbell gefunden habe. Sie wurde einst von Vasilij Popov, einem Jakuten erzählt. Da die Schamanen die Ahnen der Klarträumer sind, lohnt es sich, sich damit auseinanderzusetzen. Vorausgeschickt soll werden, dass der schamanische Kosmos drei Welten umfasst, die mittlere Welt (unsere Welt), die obere Welt der Luftgeister und die untere Welt der Erdgeister. Der Schamane reist in allen Welten. Doch hier nun die Geschichte: (Am Besten liest man sie, während man Dons Radio O "Vunderpar" hört!)

In eben diesem Jahre wurde bei ihnen ein rot-scheckiges Hengstfohlen geboren. Nach allen Anzeichen versprach dieses Fohlen ein schönes Pferd zu werden. Im Herbst desselben Jahres wurde der jüngere Bruder krank und starb. Obwohl er tot dalag, hörte er alles, was seine Umgebung sprach. Er fühlte sich, als sei er in Schlaf verfallen. Er konnte kein Glied rühren und nichts sprechen. Er hörte deutlich, wie man einen Sarg machte und eine Grube ausschaufelte. So lag er wie lebend da und war betrübt darüber, dass man sich versammelte, um ihn zu begraben, wo er noch hätte ins Leben zurückkehren können. Man legte ihn in den Sarg, ließ ihn in die Grube und schüttete zu.

Er lag im Grabe, und seine Seele, sein Herz weinte und schluchzte. — Aber plötzlich hörte er, wie oben jemand anfing, das Grab aufzugraben. Er freute sich bei dem Gedanken, dies sei sein älterer Bruder, der in dem Glauben, er lebe noch, ihn ausgraben wolle. Endlich wurde der Deckel des Sarges geöffnet ... und er sah vier schwarze Leute, die er nicht kannte. Sie richteten seinen Körper auf, setzten ihn aufrecht auf den Sarg, mit dem Gesichte seinem Hause zugekehrt. Dort war durch das Fenster ein Feuer zu sehen, aus der Dachröhre kam Rauch.

Plötzlich hörte er irgendwo fern in der Tiefe der Erde das Gebrüll eines Stieres. Das Gebrüll kam näher und näher. Die Erde kam ins Zittern, und dies ängstigte ihn sehr. Aus der Tiefe seines Grabes tauchte ein Stier auf. Er war ganz schwarz und hatte nahe zusammenstehende Hörner. Der Stier nahm den sitzenden Mann zwischen die Hörner und ließ sich wieder durch dieselbe Öffnung hinunter, durch die er gerade gekommen war. Sie gelangten zu einem Orte, wo ein Haus stand. Aus dem Hause hörte man eine Stimme wie die eines Alten, der sagte: «Burschen, wahrhaftig, unser Söhnchen hat einen Menschen gebracht. Geht hinaus, nehmt ihm seine Last ab!» Schwarze dürre Männer sprangen heraus, fassten den Herbeigebrachten, trugen ihn ins Haus und setzten ihn auf die flache Hand des Alten. Dieser hielt ihn in der Schwebe, um seine Schwere festzustellen, und sagte: «Tragt ihn wieder nach oben! Sein Schicksal bestimmte ihm, oben wieder geboren zu werden!» Der Stier nahm ihn erneut auf die Hörner, trug ihn auf dem alten Wege zurück und setzte ihn an dem vorigen Orte ab.

Als der lebende Tote zur Besinnung kam, war die Nacht schon hereingebrochen, und es war dunkel. Kurz darauf flog plötzlich ein schwarzer Rabe herbei. Er schob seinen Kopf zwischen die Beine des Mannes, hob ihn auf und flog mit ihm geradewegs nach oben. Dort war eine Öffnung. Durch sie flogen sie hinaus zu einem Ort. Dort leuchteten Sonne und Mond, Häuser und Speicher waren aus Eisen. Die Menschen hatten hier alle Rabenköpfe, ihr Körper aber war wie der von Menschen.

Wieder hörte man von innen aus dem Hause etwas wie die Stimme eines Alten: «Burschen, seht an, unser Söhnchen hat uns einen Menschen gebracht. Geht hinaus und bringt ihn herein!» Jünglinge stürmten heraus, ergriffen ihn und trugen ihn ins Haus. Dort setzten sie ihn auf die flache Hand eines grauhaarigen Alten. Dieser prüfte auf der Hand seine Schwere und sagte: «Burschen, nehmt ihn mit und legt ihn in das oberste Nest!»

Dort stand eine Lärche, deren Ausmaße man schwer mit irgendetwas vergleichen kann. Der Wipfel reichte wohl bis zum Himmel. Auf jedem Zweige war ein Nest, groß wie ein ordentlicher Heuschober, der mit Schnee bedeckt ist. Sie legten ihn in das oberste Nest.

Als sie ihn hineingelegt hatten, kam ein geflügeltes Rentier von weißer Farbe geflogen und setzte sich auf sein Nest. Die Zitzen des Rentieres kamen ihm in den Mund; er begann zu saugen. — Hier lag er drei Jahre. Und je mehr er an dem Rentier sog, um so kleiner und kleiner wurde sein Körper, bis er schließlich so groß wie ein Fingerhut war.

Er lag in seinem Neste und hörte einmal die Stimme desselben Alten, der zu einem seiner Söhne sagte: «Mein Junge, geh hinab auf die mittlere Welt, nimm dir eine Frau und kehre zurück!» Einer von seinen rabenköpfigen Söhnen ging hinunter. — Nach einiger Zeit kehrte er zurück und brachte an den Haaren eine Frau mit braunem Gesichte mit. Alle freuten sich darüber, richteten ein Fest und tanzten. Hierauf hörte der im Nest Liegende eine Stimme, die sagte: «Schließt diese Frau in einen eisernen Speicher ein, damit unser Sohn, der auf der mittleren Welt lebt, nicht heraufkommt und sie raubt!» Sie schlossen sie in den Speicher ein. Später hörte er aus seinem Nest das Geräusch einer Schamanentrommel auf der mittleren Erde. Auch Gesangeslaute drangen herauf. Sie wuchsen allmählich an, kamen näher und näher und schließlich tauchte in der Ausgangsöffnung von unten ein Kopf auf. Er sieht: ein Mensch von mittlerem Wuchs und behendem Aussehen, mit bereits grau werdenden Haaren. Kaum war er aufgetaucht, legte er den Trommelschlägel quer an die Stirn... Gleich darauf verwandelte er sich in einen Stier mit einem einzigen Horn, das aus der Mitte der Stirn hervorwuchs. Mit einem Stoß zerbrach er die Tür des Speichers, wo die Frau eingeschlossen war, und lief mit ihr zusammen nach unten. Hinter ihm her ertönte Klagen und Schluchzen, Lärm und Geschrei. Der Sohn des Alten stieg von neuem auf die mittlere Welt hinab und holte sich von dort eine andere, weißgesichtige Frau. Sie wurde zuerst zu einem kleinen Erdinsekt verkleinert und dann ebenso am Mittelpfahl der Jurte versteckt. Indes wieder waren die Trommel und das Singen des Schamanen zu hören. Auch dieses Mal fand der Schamane die versteckte Frau, zerbrach den Pfahl, wo sie sich befand, und trug sie nach unten. Der Sohn des Alten machte sich zum dritten Mal auf den Weg und kehrte mit derselben Frau zurück. Dieses Mal trafen die Leute der oberen Welt, die Geister, bessere Vorbereitungen. Am Ausgangsloch brannten sie einen Holzstoß an, nah¬men glühende Feuerbrände in die Hände und stellten sich ringsum. Als der. Schamane in der Öffnung erschien, schlugen sie mit Feuerbränden auf ihn und trieben ihn so zurück auf die Erde. Endlich hörte er in seinem Nest gegen Ende des dritten Jahres die Stimme des Alten: «Seine Jahre sind erfüllt. Werft unser Kind hinab auf die mittlere Erde. Es soll in eine Frau eindringen und geboren werden. Unter dem Namen Aadscha-Schamane, den wir ihm gegeben haben, soll er berühmt werden. Und niemand soll diesen Namen nutzlos im heiligen Monat aussprechen!»

Und so warfen sie ihn mit Gesängen und Segenswünschen hinab auf die mittlere Welt. Von diesem Augenblick an verlor er das Bewusstsein und konnte sich nicht erinnern, wie er dahin gekommen war. Erst als er das fünfte Lebensjahr erreichte, kam ihm die Erinnerung wieder. Er wusste wieder, wie er früher geboren worden war und auf der Erde gelebt hatte, wie er oben wieder geboren worden war und wie er dort das Erscheinen des Scha¬manen als Augenzeuge beobachtet hatte.

Sieben Jahre nach seiner Geburt wurde er von den Geistern erfasst, musste singen und wurde zerlegt. Mit acht Jahren begann er zu schamanisieren und den rituellen Tanz auszuführen. Mit neun Jahren war er schon bekannt, mit zwölf wurde er ein großer Schamane.

Es stellte sich heraus, dass er fünfzehn Werst [sechzehn Kilometer] von demjenigen Platze geboren worden war, an dem er nach seiner ersten Geburt gelebt hatte. Seine Frau hatte inzwischen wieder geheiratet. Er besuchte seinen früheren Bruder. Das bunte Hengstfohlen, das im Jahre seines Todes geboren worden war, war jetzt ein berühmtes Pferd geworden. Seine Verwandten erkannten ihn nicht, und er selbst erzählte ihnen nichts.

Einst im Sommer feierte ein Besitzer das Fest Ysyach, die Weihung des Kumys, das von dem Ritus der Aufhebung der Seele des Pferdes begleitet ist. Er traf dort mit demselben Schamanen zusammen, den er in der oberen Welt gesehen hatte, als er noch im Neste lag. Der erkannte ihn sofort und spricht: «Zum ersten Mal half ich einem Schamanen, die Seele einer kranken Frau herabzuholen und sah, wie du im Neste auf dem neunten Aste lagst und an deiner Tiermutter sogst. Du sahst gerade aus dem Neste heraus.» Als der junge Schamane diese Worte hörte, erzürnte er sich und sprach: «Warum bringst du das Geheimnis meiner Geburt unter die Leute?» Der andere gab zur Antwort: «Wenn du Bosheit gegen mich sinnst, so richte mich zugrunde, friss mich! Ich wurde früher auf dem achten Aste der Lärche aufgezogen, auf der auch du aufgezogen worden bist. Ich muss von neuem geboren werden und bei Chara-Suorun, dem Schwarzen Raben, aufgezogen werden.»

«Man erzählt», schloss der jakutische Erzähler, Vasilij Popov, «dass der junge Schamane in derselben Nacht jenen alten Schamanen tötete. Ohne dass man es sah, verschlangen ihn die Schamanengeister und brachten ihn zu Tode. — Diese Erzählung hörte ich von einem hochbetagten Alten.»

Ein anregendes Leseerlebnis und -vergnügen (besonders das Ende)!

Aber wenn Ihr mich fragt: Lieber doch nicht mit Dons Radio O paaren. Zuviel Input, zumindest für mich (bin halt kein Schamane pleased ). Sowohl diese Geschichte als auch die Klänge von Don sind für sich selbst genug.

@ fiodra: Danke.

Liebe Grüße,
der LuftAtmer

Coole geschichte big .Soll das eigentlich eine wahre begebenheit sein??Glaubst du eigentlich daran??
Ich möchte eigentlich diese Schamanengeschichten jenseits von Glaube oder Nichtglaube behandeln. Fest steht, dass der Schamanismus existierte und immer noch existiert. Alle nomadischen Jäger- und Sammlerkulturen fussten vermutlich einst auf Schamanismus der einen oder anderen Art, auch die europäische Kultur.

Was mich an der Geschichte oben faszinierte, war ihre Fremdartigkeit. Unsere Kultur unterscheidet sich ziemlich stark von jener, so ist es nicht einfach, ohne Vorurteile an sie heranzugehen. Die Schamanen waren Spezialisten in der Auseinandersetzung mit der imaginalen Welt. Sie hatten damit eine Funktion im Clan um zu heilen, Wetter zu machen, und die Wanderungsrichtung festzulegen usw. Im Gegensatz zu heute gab es keine schriftliche, sondern nur direkte, teilweise sehr umfangreiche mündliche Überlieferung, die meist mit nachvollziehbaren Erfahrungen verknüpft waren. Es gab also keine allgemeinen und übergeordnete Richtlinien und Theorien, was richtig und was falsch war, wie man von etwas zu denken hatte. Richtig war, was dem Stamm nützte, was funktionierte. So gab es wohl bessere und schlechtere Schamanen, die mehr oder weniger, oder auch nur in bestimmten Bereichen helfen konnten. Auch gab es keine grossen Hierarchien und Staaten. Die kleine Hierarchie der Familienstrukur genügte.

Aus heutiger Sicht wird der Schamanismus wegen dessen Fremdartigkeit gerne entwertet. Er wird als primitive Dummheit angesehen. Dabei ist zu erwähnen, dass früher die Menschen wohl kaum dümmer waren, ihre Intelligenz richtete sich eben auf andere Ziele und Inhalte: Naturbeobachtung, Geisterbeobachtung. Diese waren in oft schwierigen landschaflichen und klimatischen Regionen überlebensnotwendig. Weiter wurden die Schamanen als Geisteskranke bezeichnet, weil der Zugang zur imaginalen Welt in unserer sehr diesseitigen und materialistischen Kultur nur von Geisteskranken bekannt ist. Sie werden als Betrüger bezeichnet, weil aus Unverständnis gedacht wird, diese würden den Leuten nur faulen Zauber vorführen und diese bei ihrer Leichtgläubigkeit nehmen. Wie gesagt, die Leute waren nicht dumm, auch in der Steinzeit nicht. Eine andere Argumentation ist, dass Schamanen den Placeboeffekt nutzen würden, wie wenn diese Erklärung irgend etwas erklären könnte. Es ist im Gegensatz festzuhalten, dass mit diesem einfachen Schlagwort eine so komplizierte Welt, die neben der Eignung auch jahrelanges schweres Training erfordert, überhaupt nicht charakterisiert noch genügend genau abgebildet wird.

Schamanen wurden häufig durch Krankheit und Umstände sowie unter Widerständen gezwungen, ihren Beruf anzunehmen, Nicht der gerissenste Schlaumeier drängte sich auf, noch wurde er genommen, damit er den ganzen Clan an der Nase herum führen solle. So möchte ich hier eine weitere charakteristische Geschichte von einem tungusischen Schamanen anfügen, welche die Initiation in der imaginalen Welt schildert: (ebenfalls aus Campbell: Mythologie der Urvölker)


Wenn ich schamanisiere, kommt der Geist des verstorbenen Ilja und spricht durch meinen Mund. Diese meine Schamanen-Vorfahren zwangen mich auch, den Weg des Schamanendienstes zu beschreiten. Bis zu dem Augenblick, wo ich anfing zu schamanisieren, war ich ein ganzes Jahr lang krank. Ich wurde mit 15 Jahren Schamane. Die Krankheit, die mich zwang, Schamane zu werden, äusserte sich darin, dass mein Leib aufschwoll und häufige Ohnmachten eintraten. Wenn ich anfing zu singen, dann verging die Krankheit gewöhnlich. — Danach schamanisieren meine Vorfahren. Sie stellen mich wie einen Klotz auf und schiessen mit ihren Bögen auf mich, bis ich das Bewusstsein verliere. Sie zerschneiden mein Fleisch. Sie teilen meine Knochen ab und zählen sie. Mein Fleisch essen sie roh. Als sie meine Knochen zählten, stellten sie fest, dass einer zu viel dabei war. Hätten die Knochen nicht gereicht, so hätte ich nicht Schamane werden können. Als sie diesen ganzen Ritus ausgeführt hatten, ass und trank ich den ganzen Sommer hindurch nichts. Zum Schluss trinken die Schamanengeister das Blut eines Rentieres und geben auch mir zu trinken. Nach diesen Vorgängen hat der Schamane weniger Blut und sieht blass aus.
Dasselbe geschieht mit jedem tungusischen Schamanen. Erst wenn die Schamanen-Vorfahren in der erwähnten Art seinen Körper zerschnitten und seine Knochen zerlegt haben, kann er zu schamanisieren beginnen.


Zitat:Weiter wurden die Schamanen als Geisteskranke bezeichnet, weil der Zugang zur imaginalen Welt in unserer sehr diesseitigen und materialistischen Kultur nur von Geisteskranken bekannt ist.


Und für die schamanen sind bestimmt wir die geisteskranken ....
Ich würde das eher xenophobische Distanz nennen bigwink
Ich möchte zum Schluss noch einen draufsetzen. In diesen beiden Geschichten wird erkennbar, wie schwierig und auch angsteinflössend eine Initiation zum Schamanen war. So wird erkenntlich, dass Schamanen eine wichtige Eigenschaft hatten, sie kontrollierten ihre Angst. Sie kontrollierten sicherlich auch noch andere psychologische Zustände und eben auch ihre Träume. Sie waren hochgradige psychologische Spezialisten. Aus dem schon oben erwähnten Buch:

Knud Rasmussen erhielt von dem Karibuschamanen Igjugarjuk einen vollständigen Bericht über die Bewährungsprobe, durch die er seine Schamanenkraft erlangt hatte. In seiner Jugend war er fortwährend von Träumen heimgesucht worden, die er sich nicht erklären konnte.

Sonderbare Wesen, die er nicht kannte, traten an ihn heran und sprachen zu ihm, und wenn er aus dem Schlaf erwachte, standen alle Traumbilder so lebendig vor ihm, dass er seinen Lagergefährten davon erzählen konnte. Nachdem es auf diese Weise allen klar geworden war, dass er zum Angakoq [Zauberer] bestimmt sei, wurde ein alter Mann namens Perqanaoq sein Lehrmeister. Mitten im Winter, in der aller kältesten Zeit, brachte er Igjugarjuk auf einem kleinen Schlitten, gerade groß genug, um darauf zu sitzen, weit vom Lager weg auf die andere Seite des Hikoligjuaq. Hier musste er auf dem Schlitten sitzen bleiben, während der alte Zauberer ihm eine Schneehütte baute, die so klein war, dass er gerade darin hocken konnte. Igjugarjuk durfte den Schnee mit seinem Tritt nicht beflecken und wurde deshalb von dem alten Mann, dessen Fußspuren als rein und heilig galten, in die Schneehütte getragen. Er bekam nicht mehr als nur ein Stückchen Fell zum Sitzen, erhielt auch keine Nahrung, weder feuchte noch trockene. Der alte Zauberer ermahnte ihn, nur an den großen Geist zu denken und an den Hilfsgeist, der nun zu ihm kommen würde, dann verließ er ihn.

Als fünf Tage vergangen waren, kam der alte Zauberer zurück und brachte ihm einen Trunk lauwarmes Wasser. Darauf hungerte er wie¬derum, und zwar fünfzehn Tage, erhielt abermals einen Schluck lauwar¬mes Wasser samt einem ganz kleinen Stück Fleisch und musste dann noch zehn Tage hungern. Nach diesem langen Fasten wurde er endlich von dem alten Zauberer abgeholt. Igjugarjuk erzählte, dass die dreißig Tage, die er damals zubrachte, so kalt und so ermüdend waren, dass er bisweilen ein wenig starb. Er dachte während der ganzen Zeit nur an den großen Geist und versuchte, alle Menschen und alle alltäglichen Begebenheiten seinen Gedanken fernzuhalten. Erst gegen Ende seiner Fastenzeit kam ein Hilfsgeist in Gestalt eines Weibes zu ihm. Sie kam, während er schlief, und schwebte über ihm. Dann träumte er nicht mehr von ihr und sie wurde sein Hilfsgeist. Nach der Kälte und dem Hunger dieses langen Monats musste er fünf andere Monate eine sehr strenge Diät halten und durfte keinen Umgang mit Frauen haben. Danach wurden die Fasten wiederholt, denn je öfter man sie wiederholt, desto befähigter wird man, das zu schauen, was anderen verborgen ist. In Wirklichkeit endet die Lehrzeit niemals; es kommt auf einen selbst an, wie viel man leiden und wie viel man lernen will.

Auch Frauen wurden Schamanen. In derselben Eskimogemeinschaft lebte Kinalik: «ein jüngeres Weib», beschreibt Rasmussen sie, «das sehr intelligent erschien, zudem freundlich, sauber, vertrauenerweckend und mitteilsam war.»

Sie war Igjugarjuks Schwägerin, der auch ihr Lehrer wurde. Die Leute des Dorfes wurden in einem Hause zusammengerufen und Kinalik wurde nun im Freien an einigen Zeltstangen aufgehängt, die in den Schnee gesteckt worden waren. Hier musste sie fünf Tage hängen, um ihre Sinne empfänglich zu machen. Es war mitten im Winter, es herrschte harte Kälte und starkes Schneetreiben, aber sie fror nicht, weil der Geist sie beschützte. Nachdem die fünf Tage vergangen waren, wurde sie heruntergenommen und in den Hausgang gebracht, wo sie auf ein Fell vor dem Kochraum niedergelegt wurde. Dann wurde Igjugarjuk von ihrer alten Mutter aufgefordert, sie mit einem Gewehr zu erschießen, damit sie durch Sterbegesichte mit dem Übernatürlichen in Verbindung komme. Die Büchse solle mit Pulver geladen werden, aber damit sie nicht sterbe, sondern sich ständig an die Erde gebunden fühle, solle sie mit einem kleinen Stein und nicht mit einer Kugel aus Blei erschossen werden. Darauf schoss Igjugarjuk sie im Beisein aller Lagergefährten durchs Herz, und Kinalik sank um. Man hielt ein Sängerfest ab, während sie die ganze Nacht tot dalag. Sie litt nicht; die Geister beschützten sie, und am nächsten Morgen, gerade als Igjugarjuk zu ihr wollte, um sie wieder zum Leben zu erwecken, erwachte sie von selbst.
So, das wäre in etwa eine Einführung in die Welt der (nordischen) Schamanen. Das Schamanentum in den Urwäldern mag wiederum etwas anders aussehen. Wer sich intensiver mit dem Thema beschäftigen möchte, empfehle ich folgende Bücher:

- Joseph Campbell: Mythologie der Urvölker
- Holger Kalweit: Traumzeit und innerer Raum
- Susanne Elsensohn: Schamanismus und Traum
Hier noch ein Bild, welches das Weltbild der beschriebenen Schamanenvölker darstellt:

[Bild: tengrismus.jpg]

Schamanentrommel: Die Darstellung der tengristischen Drei-Welten-Kosmologie. Der Senkrechte Pfeil symbolisiert den Weltenbaum der in der Mitte der Welt steht. Er verbindet Unterwelt, irdische Welt und Himmel miteinander. Diese Darstellung findet man auf Schamanentrommeln der Türken, Mongolen und Tungusen in Zentralasien und Sibirien.


Siehe auch Wikipedia: Tengrismus

Spannend...

danke für die Erklärung. Jetzt verstehe ich mein Trommel besser bigwink

<a href="http://imageshack.us">[Bild: schamanentrommel003wv3.jpg]</a><br/><a href="http://g.imageshack.us/g.php?h=160&i=schamanentrommel003wv3.jpg">[Bild: schamanentrommel003wv3.ae7e1b9600.jpg]</a>

Du hast da ein schönes Stück.

Die erste Schamanengeschichte, die ich hier gepostet habe, fasst diese dreigeteilte Kosmologie mit dem Weltenbaum schön zusammen.

Übrigens, das Gitter, das für das Mühlespiel verwendet wird, wird auch in den Zusammenhang mit der schamanischen Dreiteilung des Kosmos gebracht: http://www.haraldhamster.de/muehle.html

Edit: Don, ürsprünglich habe ich dich aufgrund deines Namens in die spanische Ecke verortet. Aufgrund von Radio O realisiere ich aber, dass du einen direkten Bezug zu Russland hast. Auf einem Foto habe ich gesehen, dass du vermutlich Vorfahren aus dem Osten von Russland hast, zu denen du offensichtlich mit deinem Interesse für Obertongesang und mit deiner Schamanentrommel einen geistigen Bezug hast. Auch scheinst du eine ausserordentliche träumerische Begabung zu haben.

Meine Frage an dich lautet deshalb: Hast du schon einmal daran gedacht, dich vertieft mit Schamanismus auseinander zu setzen, in eine Lehre bei einem Schamanen zu gehen? So viel ich weiss, wird das Talent für Schamanismus häufig vererbt, das heisst, die Genetik spielt eine Rolle. Mir scheint dass du da eine Fähigkeit von deinen Vorfahren geerbt hast.

Dass Vererbung wichtig ist, haben auch die Sufis erkannt, häufig wird die Rolle als Sufischeich an die direkten Nackommen weitergegeben aus diesem Grund. In der Türkei gibt es einen Sufiorden, in den du geboren werden musst, um dabei sein zu können.


Zitat:dass du einen direkten Bezug zu Russland hast.


big Sibirien ist meine Heimat. Dort, wo Fluß Abakan ins Jenisej fliesst, wurde ich geboren. Die merkwürdige und nervtötende Gesänge von Chakassen, Sagaj, Koibalen, Kysylen und Schoren ertönten täglich aus dem Radio, diese hörte ich auf der Straße, beim spielen. Meine Kindheit, Jugend und Unizeit habe ich in freien chakassischen Steppen, in herrlicher Taiga verbracht, direkter geht es wohl kaum bigwink



Zitat:Hast du schon einmal daran gedacht, dich vertieft mit Schamanismus auseinander zu setzen, in eine Lehre bei einem Schamanen zu gehen?


Nein.

LG,
Don
Ich habe ein Faible für Zentralasien mit seinen Ebenen, Wüsten, Steppen und Berge, und würde es gerne einmal bereisen. Vielleicht einmal die Transsibirische Eisenbahn, wer weiss. *schlotter* big

Zu welchem Volk gehörst du?

Zitat:fiodra schrieb am 09.09.2008 20:08 Uhr:
Zu welchem Volk gehörst du?


Zu keinem von obengenannten Nomadenvölker. Ich bin halt ein ganz normaler Halbrusse, Halbtatare, der im sowjetischen Staat aufgewachsen ist.
Die These von der vererbten Begabung klingt toll, ist aber zu weit gegriffen. In unserer Familie gab es (so viel ich weiß) keinen Schamane.

Es tut mir leid, wenn ich deinen Vorstellungen nicht entsprechen kann, fiodra biggrin

P.S.:

eine Reise von mehreren Klarträumer mit Transib nach Sibirien wäre bestimmt toll. Vllcht im Sommer 2009?

LG,

Don
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