Alice trifft im Spiegelland zusammen mit den spiegelbildlichen Brüdern Dideldum und Dideldie auf
den schlafenden roten König:
‚Er träumt gerade‘, sagte Dideldie. ‚Und was meinst du, von wem er träumt?’ ‚Das kann ich doch
nicht wissen’, sagte Alice. ‚Doch, weil er von dir träumt!’ rief Dideldie [...] Und wenn er aufhört zu
träumen, was glaubst du, wo du dann wärst?’ ‚Genau da, wo ich jetzt bin’, sagte Alice. ‚Im Gegentum’
[sic!] trumpfte Dideldie auf. ‚Nirgends wärst du! Du bist bloß ein Hirngespinst aus seinen
Träumen.’ ‚Und wenn der König aufwacht’, fügte Dideldum hinzu, ‚dann bist du weg -pfft- wie eine
ausgeblasene Kerze.’ ‚Bin ich nicht!’ rief Alice wütend. ‚Wenn ich ein Hirngespinst bin, dann
möchte ich wissen, was ihr seid?’ ‚Das gleiche’, sagte Dideldum. ‚Exakt das gleiche!’ rief Dideldie.
Er schrie so laut, daß Alice ‚Pssst’ sagte und: ‚Du weckst ihn noch auf mit deinem Geschrei.’ ‚Ausgerechnet
du mußt vom Aufwecken reden‘ ,sagte Dideldum, ‚wo du bloß irgendwas aus seinen
Träumen bist! Du weißt genau, daß du nicht echt bist.‘ ‚Ich bin aber echt!‘ rief Alice und fing an zu
weinen. ‚Vom Heulen wirst du kein bißchen echter‘, bemerkte Dideldie, ‚das macht’s nicht besser!‘
‚Wenn ich nicht echt wäre –‘‚ Alice weinte und lachte nun zugleich, weil das Ganze wirklich zu albern
war, ‚dann könnte ich doch nicht weinen, oder?‘ ‚Ich hoffe, du glaubst nicht, daß das echte
Tränen sind?‘ erwiderte Dideldum voll Verachtung.
Carroll, Lewis: Alice im Spiegelland. Aus dem Englischen v. B. Teutsch. Hamburg: Cecile
Dressler Verlag 1990.
sehr schön diese parallelität der erdachten zu den geträumten figuren und die relativität dessen, was wir immer so gerne als "persönlichkeit" betrachten, als wäre das etwas solide seiendes. ich lese das ja auch öfter aus spells beiträgen. sehr schön auch als grundproblem in "sophies welt" erfaßt (leider nur als rahmenhandlung zu einer philosophiegeschichte; aber immerhin großartig, als sophie sich selbst als zornig existenziell empfindet, weil sie ja nur eine figur in einer geschichte sei. guter gedanke)
lg
banzai!
hier grafik von max klinger zum thema:
Zitat:banzai! schrieb am 17.04.2008 21:07 Uhr:
sehr schön auch als grundproblem in "sophies welt" erfaßt
hmm... das erinnert mich an einen Traum:
Zitat:- Graue Häuser, graue Straßen, der Winter ist verdammt kalt. Verdammt kalt ist er und verflucht lang. In dieser Stadt ist alles grau, sogar die Menschen. Sie sind grausam.
Der Büchermacher rieb sich die Hände am kleinen gusseisernen Ofen. Seine Möbel hat er schon vor einer Woche verfeuert, er hatte kein Geld für Kohle, jetzt saß er auf dem Fußboden.
- Diese Grausamkeit ernährt sich vom Geld, nicht von Büchern... nicht von meinen Büchern! Dieser Winter kann nicht vergehen, die Kälte ist tief im menschlichen Herzen eingewurzelt, verdammt tief, sogar die Tinte friert ein!
Der Büchermacher schrieb ein Manuskript, sein Meisterwerk. Er wusste, dass dieses Buch keiner lesen, geschweige denn kaufen wird. Doch er konnte es nicht anders machen und er wollte es auch nicht anders schreiben. Er war wahrscheinlich schon seit einiger Zeit krank, er bekam Hustenanfälle, er fieberte und zitterte am ganzen Leib.
In seinem Manuskript handelte es sich um einen Irren, einen Verrückten, der in der Irrenanstalt ein Bild malte. Eigentlich ging es dort weniger um den Kranken, sondern um sein Gemälde. Ein Arzt schlug unglücklicherweise dem Irren vor, sich zum seelischen Ausgleich künstlerisch zu betätigen und einwenig zu musizieren oder zu malen. Seit dem ist der Irre voll und ganz in seine Arbeit versunken, Tag und Nacht malte und übermalte er seine Leinwand und es entstand ein sagenhaftes Bildnis:
Wie sein wildes Blut spritzte er zuerst ein chaotisches Rot drauf und vermischte es dann mit der blauen Farbe seiner Depression. Zwanghaft setzte er giftgrün drauf und starrte stundenlang ins additive Weiß. Wie die Pointilliste seiner Bilder sich aus tausend winzigen Farbpunkten zusammensetzten, die sich erst auf der Netzhaut des Betrachters zu gleichmäßigen Farbflächen verbinden, so trug er Tausende von Formen und Zeichen auf, die beim Betrachten, zusammen absolut nicht zu sehen waren. Nach Wochen und Monaten intensiver Schaffung sah das Gemälde immer noch unschuldig unberührt aus. Die Krankenschwestern kicherten und der Arzt verschrieb dem Irren starke Beruhigungsmittel. Doch das, was einem oberflächlichen Zuschauer entgangen war, würde jeden aufmerksamen Menschen ins staunen bringen - eine wundersame und eigenartige Welt erstreckte sich auf dem Leinen.
An dieser Stelle endet die Vorprogrammierung von Dreamcar. Es war nachts 1.00 Uhr und ich bin schlafen gegangen. Morgens bin ich klar geworden und habe mich an mein Vorhaben erinnert.
Ich erlebte die kalte Wohnung des Büchermachers, schrieb mit ihm zusammen sein Buch und vertiefte mich in dessen Inhalt. So gelang ich in die Irrenanstalt und schaute dem Irren hinter die Schulter, wie er sein Gemälde gemeistert hat. Der Irre war mit seiner Situation sehr zufrieden. Es war ihm nur Recht, dass keiner sein Bild sehen konnte, denn jetzt ging es ernsthaft zur Sache. Er nahm den dünnsten Pinsel und bearbeitete die Details zwischen der Farbe und den Formen. In dem Moment, als er so konzentriert seinen Pinsel in das Leinen eintauchte, merkte er, das der Pinsel durch die Leinwand ging. Er schaute auf die andere Seite des Bildes, dort kam der Pinsel nicht raus. Der Irre freute sich noch mehr. Er arbeitete weiter an den Details und bald tauchte der ganze Pinsel durch das Bild. Der Verrückte wartete bis er allein war und steckte seine Hand durch - sie passierte das Bild wiederstandsfrei. Der Irre tauchte seinen Kopf, seine Schulter und seinen ganzen Körper hinein.
vermutlich war es dieses bild...
erfindung eines traums, von richard oelze.
und weiter geht dies mit ebensolchen traumszenen in "Der Schatten des Windes" von Carlos Ruiz Zafón..."Der junge Daniel Sempere aus Barcelona wird von seinem Vater, einem Buchhändler, zu einer verborgenen Bibliothek, dem „Friedhof der Vergessenen Bücher“ geführt."...
»Das große Bild ist ohne Form« sagt Laotse.
und dann...
lg
banzai!
Ich finde das Buch sehr gut. Die Geschwindigkeit mit der sich Figuren hinter den Spiegeln bewegen deutet für mich auf die Geschwindigkeit der Gedanken hin, bei denen es wichtig ist, dass sie nicht stehen bleiben.
Die Frage am Ende Wer diesen Traum nun geträumt hat finde ich wunderbar, weil ich eine Parallele finde dazu, dass alles Teil eines anderen Traums ist und die Trauminformationen tatsächlich kohärent durch das Bewusstsein fließen, solange sie klar also im Fokus sind. Die gesammelten Werke vom Autor Lewis Carroll
http://www.gasl.org/refbib/Carroll__Works.pdf