RE: Die Sucht und das Suchen
23.07.2020, 15:34
Was auch eine Ursache für Süchte sein kann sind frühe Traumata. Hier mal ein Text über Entwicklungstraumata, der mein persönliches Trauma ganz gut beschreibt
http://traumaheilung.de/entwicklungstrau...69de1401fa
Auf Grund meiner Traumatisierung konnte ich mich sehr lange gar nicht selbstständig regulieren und war immer auf eine Person im Außen abgewiesen, die mir zb gut zuredete, mit Sicherheit und Schutz gab, oder auch durch die ich freudige Gefühle erst empfinden konnte. Ich brauche sehr viel Aufmerksamkeit. Durch meinen spirituellen Anspruch der Unabhängigkeit an mich, spreche ich mir dieses Bedürfnis nach Aufmerksamkeit auch oft ab, weil ich Unabhängig sein möchte. Aber im Grunde ist das wieder wenig mitfühlend, weil ich mir die Aufmerksamkeit die ich brauche noch nicht immer geben kann. Ich wünschte ich könnte, aber ich kann es noch nicht. Wer jedoch nie genug aufmerksamkeit erhalten hat, der fühlt sich auch immer schlecht wenn er mal welche einfordert, weil er ja denkt, dass sei verboten.
Da ich jetzt schon ein paar Jahre an dem Problem arbeite, um mir das möglichst selbst zu geben, was mir während der ganzen Kindheit gefehlt hat, ist es jetzt schon etwas besser geworden, aber ganz werde ich dieses Problem, dieses Trauma vielleicht nie auflösen können. Das ist schlimm, wenn man weiß, dass es nie ein Ende hat und man deshalb immer benachteiligt ist, den Menschen gegenüber die einfach frei leben können und nicht bei allem eine Hürde sehen. Ich habe mich lange Zeit so gefühlt, als sei ich dem Leben nicht gewachsen. Die kleinsten Herausforderungen waren Hürden, an denen ich gescheitert bin.
Suchtmittel sind für Menschen mit Traumata oft auch ein Ersatz für eine fehlende normale Entwicklung. Bei mir ist das auch so, dass mein "Window of Toleranz" wie im Text oben beschrieben, Glück fast nicht zulassen kann. Unter der Sucht zu Essen liegt der Wunsch nach Nähe und Kontakt mit einer sicheren Person, die mich erfreut. Aber das kann ich nicht machen. Ich bin Abhängig von der Reaktion des Gegenübers. Manchmal trifft man solche Personen, die einem das geben. Aber wie im Text beschrieben neige ich auch dazu, mir Leute zu suchen, die eben nicht sicher sind, so dass mir das Trauma immer wieder in der Reinzinierung begegnet. Manchmal war habe ich meine Erfahrungen dann auch wieder in ein sprirituelles Gewand gekleitet, nach dem Motto, nur wenn man mit sich allein sein kann, kann man das All-Eine sein, aber im Grunde bestätigt das ja auch wieder das traumatsierte Selbstbild, der permanenten Zurückweisung, die mir mein Leben lang passiert ist.
Eine der wenigen sicheren Methoden um Glücksgefühle zu erzeugen ist für mich zu essen. Klar gibts andere Dinge die Glücklich machen können, aber die sind eben nicht sicher. Ich kann auch Glücksgefühle in der Meditation oder beim Radfahren haben, aber eben nicht sicher. Mal kommen sie und mal nicht. Oft wenn ich Handlungen wiederhole bleiben diese aus. Nur das Essen ist Sicher. Manchmal bin ich ziemlich hilflos, das alles aufzuarbeiten was in meinem Leben durch das Trauma zerstört wurde. Ist manchmal schwer das anzunehmen, und doch versuche ich das, weil ich keine andere Wahl habe.
Zitat:Wie Dami schreibt:
"Ich erlebe viele Menschen, die verzweifelt auf der Suche nach Gründen sind, warum bestimmte Dinge in ihrem Leben nicht funktionieren.
Ich war lange auf der Suche, was in meinem Leben schief gegangen ist oder warum bestimmte Dinge nicht funktioniert haben. Natürlich gibt es die offensichtlichen Ereignisse, wie Gewalt und Misshandlung. Aber es gibt auch die viel subtileren Dinge, die uns daran gehindert haben zu lernen und eine tiefgreifende Wirkung darauf haben, wie gut wir uns regulieren können, wie glücklich wir sein können, wie stressresistent wir sind."
Oft schauen wir bei Süchten nur an der Oberfläche, versuchen das schädliche Verhalten irgendwie abzustellen aber, manchmal sitzen die Ursachen so tief, dass die oberflächliche Verhaltensänderung nicht funktionieren kann. Deshalb war ich persönlich auch immer gegen verhaltenstherpeutische Interventionen, weil mir nur eine Tiefen- und Traumapsychologische Betrachtungsweise helfen konnte. Wenn überhaupt, denn manchmal kann man so schlimm das klingt nichts tun, außer zu akzeptieren dass man ein bestimmtes Problem hat.
Denn das was man in frühster Kindheit täglich verpasst hat, wie will man das aufarbeiten? Ich arbeite meist 24/7 an mir, aber manches ist nicht zu erlösen. Man kann das dann nur noch abtrauern, dass man es nie lösen kann. Manche Zeitfenster für Entwicklung schließen sich leider. Manchmal denke ich ich müsste wirklich neu geboren werden, in eine neue liebevolle Familie, um das aufzuarbeiten was in mir noch brach liegt.
Aber ich habe ja auch die andere Seite in mir, nämlich die spirituelle Seite, die in meiner Dunklelheit das Licht sehen kann. Dann denke ich wieder: Es ist niemald zu spät für eine glückliche Kindheit. Dann mache ich wieder Heilungserfahrungen. Dann kann ich sehen, dass meine größten Unzulänglichkeiten mir meine wichtigsten Erkenntnisse über mein Sein geliefert haben. Alles hat zwei Seiten. Das Trauma kann als Schatz angesehen werden, denn wer sowas erlebt hat, blickt einfach tiefer, als Menschen die ihr Leben immer an der Oberfläche lösen können.
Aber irgendwas bleibt leider immer gleich, dass man mit dem was man täglich leistet im Grunde von fast niemandem gesehen wird. Denn das was man als schwerst traumatisierter Mensch leistet können nur diejenigen sehen, die selbst diese schwerwiegenden Erfahrungen im Leben gemacht haben. Und so bleibt man von 99% der Menschen ungesehen, muss oft dopplet so hart arbeiten wie andere um normale Situationen zu bewältigen. Und damit hat sich wieder nichts verändert. Das macht das Gefühl des Traumas so unendlich. Nur dass man irgenwann zu sich selbst sagen kann,
Ich sehe dich (mich). Und das ist toll wenn man das kann, und sich ein Stück weit die Abhängigkeit auflöst, aber es bleibt immer etwas das schmerzlich fehlt, ganz gleich wie viel Selbstfürsorge man erlernt hat.